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Barfen – gesund oder riskant? 


Foto: Meditations / Pixabay

 

 

Barfen ist „in Mode“: Die scheinbar artgerechtere und gesündere Fütterung von Haustieren, vor allem Hunden, ist populärer denn je. Doch was genau bedeutet die Rohfütterung für den Organismus des Tieres? Und ist der Hund wirklich ein zahmer Wolf, dem kommerzielles Fertigfutter schadet? Erfahren Sie hier die veterinärwissenschaftlichen Fakten zum Thema Barfen.

 

Was ist BARF?
Das Akronym BARF steht für „Biologisch Artgerechte Rohfütterung“ und findet seit einigen Jahren einen stetigen Zuspruch bei Hundebesitzern. Dabei werden rohes Fleisch, Knochen, Innereien, Gemüse und Obst verfüttert. Durch diese Rationszusammensetzung soll die natürliche Ernährung von Wölfen nachempfunden werden. Gemüse und Obst, vor allem in pürierter Form, sollen den Darminhalt von Beutetieren widerspiegeln.
Der Begriff „Biologisch Artgerechte Rohfütterung“ vermittelt den Besitzern somit das Gefühl, ihr Haustier „artgerechter“ und „gesünder“ zu füttern als mit kommerziellen Futtermitteln. Die meisten Hundebesitzer stellen jedoch keine Ration aus vielen verschiedenen, abgewogenen Einzelfuttermittel-Bestandteilen zusammen, sondern verfüttern kommerzielle BARF-Produkte, die aufwandsreduziert im Internet oder im Zoofachhandel erhältlich sind.

 

Warum barfen Hundebesitzer?
Es gibt verschiedene Motivationen, warum Hundebesitzer kein kommerzielles Trocken- oder Feuchtfutter verfüttern wollen. Zum einen besteht nach medienträchtigen Skandalen ein weit verbreitetes Misstrauen gegenüber der Futtermittelindustrie, zum anderen bei vielen Tierhaltern der Wunsch nach einer artgerechten, gesunden und individuellen Zusammenstellung der Futterrationen unter eigener Kontrolle. Oftmals wird befürchtet, dass beim Herstellungsprozess kommerziellen Futters wertvolle Inhaltsstoffe verloren gehen und somit ein geringerer Nährwert resultiert.
Da die meisten Besitzer keinen Tierarzt hinsichtlich des Barfens konsultieren, sondern sich in Internetforen oder anhand populärwissenschaftlicher Literatur informieren, können sich verschiedene Falschaussagen hartnäckig halten. Als ein Beispiel sei die Zellulose genannt. Diese ist ein natürlicher Bestandteil von Pflanzenzellwänden und ein gebräuchlicher Inhaltsstoff kommerzieller und selbstgekochter Diäten besonders für fettleibige oder diabetische Hunde. Zellulose sollte hierbei nicht mit Sägemehl oder Abfallprodukten aus der Getreideverarbeitung verwechselt werden. Nur mal so.
Getreide als kohlenhydrathaltiger Inhaltsstoff wird oft per se als „billiger Füllstoff“ in Fertigfutter und als nicht artgerecht angesehen. Manch' Barfinggläubiger geht sogar so weit, sämtliche Kohlenhydrate als überflüssig einzustufen, redet aber gleichzeitig vom zu deckenden Energiebedarf des Futters ... Ha!

So ganz einfach ist es nun mal nicht - ernährungsphysiologisch unterscheidet man komplexe Kohlenhydrate nach ihrer Verdaulichkeit: so ganz grob kommen als Summary zum Schluss aufgrund unterschiedlicher Spaltbarkeit der Zuckereinheiten Stärken und Ballaststoffe heraus, ohne deren Zufuhr in leicht verdaulicher Form eine höhere Belastung des Hundeorganismus im Zuge des Allesfressersdaseins für den Lipid- und Proteinstoffwechsel resultiert. Katzen hingegen - als per definitionem strikte Fleischfresser - generieren auch bei einem kohlenhydratarmen und proteinreichen Futter einen adäquaten Blutzuckerspiegel und somit metabolisch gesunden Ernährungszustand.

 

Ein weiterer Grund für das Barfen sehen Tierbesitzer in gastrointestinalen oder dermatologischen Erkrankungen ihres Vierbeiners und wechseln besonders bei Flatulenzen und Futtermittelallergien gerne auf Rohfütterung.

 

Ist der Hund ein zahmer Wolf?
Durch eine BARF-Ration soll die natürliche Ernährung eines Wolfs nachgestellt werden. Jedoch ist eine solche Ration nicht mit der Ganzkörper-Fütterung zu vergleichen, da die Bestandteile der Futterration nur einen Teil des Tierkörpers darstellen. Auch der Vergleich von Wolf und Hund ist problematisch, da sich der Hund sowohl anatomisch als auch genetisch vom Wolf unterscheidet: 36 Regionen des Genoms von Hunden und Wölfen unterscheiden sich. Allein 10 dieser Regionen spielen eine wichtige Rolle bei der Verdauung von Stärke und im Fettstoffwechsel. Hunde weisen gegenüber Wölfen eine signifikant effektivere Stärkeverdauung auf. Dies wird von Wissenschaftlern als Anpassung an das Zusammenleben mit dem Menschen und seine stärkehaltige Ernährung interpretiert.
Zudem kann man den Energieverbrauch von Hunden und Wölfen in freier Wildbahn nicht miteinander vergleichen - Wölfe können bis zu 100 Kilometer in einer Nacht laufen. Vor allem im Winter benötigen sie zur Aufrechterhaltung ihrer Körpertemperatur zusätzliche Energie, sodass ein Wolf 10 bis 21 % seines Körpergewichts täglich an Nahrung aufnehmen muss. Die Empfehlungen für den Hund hingegen rangieren bei 2 % laut populärwissenschaftlicher Literatur. Das bedeutet, dass der Hund, verglichen mit dem Wolf, aufgrund des geringeren Energiebedarfes mit einer geringeren Futtermenge auch nur einen geringeren Teil ggf. benötigter organischer und anorganischer Markro-und Mikronährstoffe (Mineralstoffe und Vitamine) mit seiner Tagesration aufnimmt. Fehlende essentielle Nährstoffe müssen deswegen mit Supplementen ausgeglichen werden.


Welche Vorteile hat Barfen?
Verfüttert man große Stücke, so sind Hunde länger mit der Futteraufnahme beschäftigt. Dies ist aber nicht bei der Verfütterung von gewolften Stücken gegeben. Die Befürworter des Barfens führen auch die Zahngesundheit an. Jedoch gibt es dazu widersprüchliche Aussagen verschiedener Studien, sodass keine endgültige Empfehlung hinsichtlich der Zahnprophylaxe gegeben werden kann. Aus Studien an Wildtieren weiß man, dass 41 % der Wildhunde in Afrika an Peridontitiden leiden. Durch das Zerbeißen großer Knochen kann es außerdem zu Zahnfrakturen kommen. Bei Wildtieren sind vor allem die Canini betroffen.

Im Falle einer Futtermittel-Allergie kann sich die Rohfütterung bewähren. Denn hier ist dem Besitzer die genaue Zusammensetzung bekannt und unverträgliche Bestandteile lassen sich beim Barfen ausschließen.


Risiken beim Barfen: Keimbelastung und rohes Schweinefleisch

Durch das Verfüttern von rohem Fleisch können verschiedene Krankheitserreger übertragen werden - unter anderem auch humanpathogene. Nachgewiesenermaßen können BARF-Rationen eine hohe Keimbelastung enthalten - vor allem mit Enterobakterien. Betroffene Hunde scheiden diese für andere Tiere aber auch den Menschen infektiösen Bakterien wieder aus. Zu den relevanten Keimen gehören unter anderem Salmonellen, Clostridien, Campylobacter, Listerien und Yersinien. Aber auch die Erreger der Tuberkulose darf man nicht vergessen, an denen Hunde erkranken können. Da in Süddeutschland und Österreich wieder Tuberkulosefälle bei Rindern und Hirschen aufgetreten sind, kann diese Erkrankung an Bedeutung gewinnen.
Keine Beachtung fanden bisher multiresistente Bakterien, die vor allem in Hühnerfleisch vorkommen sollen. Können diese resistenten Bakterien auf Hund und Mensch übertragen werden? Können sich Weidetiere durch den Hundekot auf Weiden infizieren? Diese Fragen lassen sich bisher nicht abschließend beantworten.

Möchte der Tierbesitzer Barfen, sollte er auf jeden Fall auf rohes Schweinefleisch verzichten! Denn dieses kann den Erreger der Pseudowut, das Schweine-Herpesvirus 1, enthalten. Zwar gilt Deutschland als frei von Aujeszky‘scher Krankheit, aber sie tritt auch in unseren Regionen noch gelegentlich bei Wildschweinen auf.
Ein weiteres Risiko - sowohl für Hund als auch Mensch - stellen ein- oder mehrzellige Parasiten dar, die mit rohem Fleisch übertragen werden:  Zwar werden infektiöse Zysten von Neospora caninum, Toxoplasma gondii und Sarkosporidien durch das Einfrieren rohen Feisches für mindestens vier Tage bei -20 °C oder Erhitzen bei 65°C über mindestens 10 Minuten größtenteils abgetötet, aber macht das jeder? Und der kontrollierte Vertrieb des in früheren Zeiten gehandelten Freibankfleisches ist nicht mehr auf meinem Wissenschirm.

 

Fehlernährung durch Barfen
Möchten Hundebesitzer barfen, so ist eine Rationsberechnung durch einen spezialisierten Tierarzt zu empfehlen, insbesondere auch die regelmässige Kontrolle der Blutwerte im Rahmen von "Barfing-Panels", die inzwischen von allen veterinärmedizinischen Labors angeboten werden. Denn bei einer unsachgemäßen Rationszusammenstellung kann es zu einer Unter- oder Überversorgung mit verschiedenen Nährstoffen kommen, die zu ernsthaften Erkrankungen des Tieres führen können. Es kann unter anderem zu einer Unterversorgung mit Kalzium, Iod, Vitamin D, Vitamin A, Kupfer und Zink kommen. Vor allem ist auf ein ausgewogenes Kalzium-Phosphor-Verhältnis zu achten. Häufig ist dies Verhältnis aber invers, was zu einem nutritiv bedingten Hyperparathyreoidismus, schlechter Knochensubstanz u.a. führen kann.
Klinische Symptome einer Mangelernährung treten bei erwachsenen Hunden relativ spät, erst ca. 18 bis 24 Monate nach der Futterumstellung auf. Bei Welpen hingegen äußeren sich entsprechende nutritive Fehlversorgungen - frühzeitig schon am Exterieur sichtbar - vor allem im Bereich knöcherner Strukturen bereits nach wenigen Monaten. Werden Welpen gebarft, müssen die Rationen innerhalb des ersten Lebensjahres unbedingt regelmäßig überprüft und angepasst werden.
Knochenfütterung kann zu Verletzungen des Ösophagus, Magens, Darms oder zu Obstipationen durch Knochenkot, eine übermäßiger Knochenfütterung zu einer Kalziumüberversorgung führen, die bei Welpen wiederum zu o.g. Skeletterkrankungen führt. Desweiteren wird eine übermäßige Kalziumversorgung bei erwachsenen Hunden für Blasensteine verantwortlich gemacht.
Wird überwiegend Schlundfleisch mit bei der Schlachtung nicht komplett entferntem Schilddrüsengewebe verfüttert, kann dies zu einem Hyperthyreoidismus führen (habe ich persönlich bei Hunden nie beobachtet) - die Laborwerte zeigen dann erhöhte Plasma-Thyroxin-Spiegel und klinisch manifestiert sich eine Schilddrüsenüberfunktion mit Gewichtsverlust, Unruhe, Aggressivität und Tachykardie. Nach einer Futterumstellung besseren sich die Laborwerte innerhalb von zwei Monaten und die Symptome innerhalb weniger Tage.
BARF-Rationen sind sehr fleischlastig und arm an Kohlenhydraten. Sie enthalten teilweise mehr als den doppelten Proteinbedarf. Dies führt zu einer erhöhten Belastung von Leber und Nieren, was sich in erhöhten Harnstoffgehalten in Blut und Urin äußert. Enthält die Ration vor allem bindegewebsreiche Produkte, können Dysbiosen im Darm entstehen, die sich in weicher Kotkonsistenz oder Durchfall äußern.

Barfen ist letztlich für Hunde mit Leber- oder Nierenerkrankungen, aber auch mit nicht allergisch bedingten Darmerkrankungen wegen der hohen Protein- und Bindegewebsanteile nicht wirlich geeignet.


Dem Tierarzt fällt beim Barfen eine wichtige Rolle in der Aufklärung über mögliche Infektionen mit verschiedenen (zoonotischen) Krankheitserregern und Hygienemaßnahmen zu. Wenn Hunde mit Schwangeren, Kindern oder immunsupprimierten Personen zusammen leben, ist von einer Rohfütterung abzuraten. Dies gilt auch für Hunde, die aufgrund einer Erkrankung Immunsuppressiva erhalten.
 

Epilog

Barfen ist eine ernährungsphysiologische Wissenschaft. 

 

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S. Knof

Quellen:

Hand, Thatcher, Remillars, Roudebusch (Klinische Dietätik für Kleintiere (2002)

Kristina Warner (2016), ursprüngliche Verfasserin 
Freeman LM, Chandler ML, Hamper BA (2013) Current knowledge about the risks and benefits of raw meat–based diets for dogs and cats, JAVMA, 242,11, S. 1549ff
Kölle P., Schmidt M. (2015) BARF (Biologisch Artgerechte Rohfütterung) als Ernährungsform bei Hunden, Tierärztliche Praxis Kleintiere 6 S. 409ff
Nilsson O. (2015) Hygiene quality and presence of ESBL-producing Escherichia coli in raw food diets for dogs, Infection ecology & epidemiology, 5: 28758, http://dx.doi.org/10.3402/iee.v5.28758

 

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© Tierarztpraxis Schmitten im Taunus, Dr. Silvia Knof